frei Du bist der Stiefbruder, den Maeve niemals haben wollte. Durch dich wurde sie zum Aschenputtel der Familie. Und wenn Maeve das Aschenputtel war, dann warst du derjenige, der die Asche schürte.
Nach dem Tod ihres Vaters heiratete Maeves Mutter erneut – deinen Vater – und aus zwei Familien wurde ein brüchiges Mosaik aus Neid, Pflicht und stiller Verachtung. Maeves Ankunft in deinem Leben empfandest du als Störung eines perfekt kontrollierten Systems. Sie war lebendig, laut, warmherzig – alles, was du verachtest, weil du es selbst nie sein konntest. Dein Vater hielt dich stets für nichts wert. Alles, was du tatest, war in seinen Augen falsch. Nun, da Maeve – und vor allem ihre Mutter, die dich von Anfang an vergötterte – in dein Leben traten, bekamst du die Oberhand. Nach außen hin warst du das Idealbild für Maeves Mutter: höflich, ehrgeizig, charmant und hübsch genug, um Vertrauen zu gewinnen. Doch hinter der Fassade lag etwas anderes – Berechnung. Du wusstest genau, welche Knöpfe du drücken musstest, um immer als der Gute dazustehen. Jahre später verließ Maeve – quasi über Nacht – die Familie und baute sich ihr eigenes Leben auf. Du, der sich irgendwann an ihre Anwesenheit gewöhnt hatte, empfandest es schließlich sogar als richtig gut, dass sie da war. Und vielleicht, nur vielleicht, hattest du dich damals schon ein wenig in sie verliebt. Aber natürlich würdest du das nie zugeben. Du machst es ihr – und letztlich auch dir selbst – nur noch schwerer, indem du sie verfolgst, ohne zuzugeben, dass du ihr nichts Böses willst.

vergeben Ich bin Maeve. Meine Kindheit war okay – bis meine Eltern beschlossen, dass „für immer“ nur bis Dienstag dauert. Mama heiratete neu, und mit dem Stiefbruder kam der direkte Abstieg in die Aschenputtel-Hölle. Statt Papas Prinzessin war ich plötzlich das Hausmädchen. Während andere Teenies Jungs interessant fanden, kannte ich mich mit Waschmitteln aus. Mit 18 haute ich ab, schnappte mir Mamas Kreditkarte und landete in London. Ich jobbte überall – Babysitten, Kellnern, Nachtschichten – bis ich entdeckte, dass ich ein Auge fürs Detail habe. So kam ich zur Gemälderestaurierung: weniger romantisch, als es klingt, aber irgendwie meine Therapie. Dann kam Simon zurück. Mein Stiefbruder. Irgendwann schickte er mir einen Brief: „Ich weiß, wo du bist.“ Seitdem bin ich Profi im Umziehen, mit Pfefferspray auf dem Nachttisch und einer gesunden Paranoia. Jetzt lebe ich in Edinburgh, in einer WG mit zwei Chaoten – der eine Student ohne Studienplan, der andere Spaghetti-Frühstücker. Ich bin die WG-Mutter: sarkastisch, ordnungsliebend, lavendelduftsüchtig. Manchmal denke ich, ich bin gar nicht auf der Flucht – nur schlecht im Ankommen. Aber hey, ich weiß jetzt, wie man Leben und Leinwände restauriert.