frei Es gibt da jemanden. Einen Mann, den ich inzwischen bei fast jedem meiner Konzerte sehe. Anfangs dachte ich, er wäre einfach nur ein weiterer Fan, der vielleicht zu viel Geld und zu wenig Hobbys hat. Doch seine Blicke verweilen länger, als es üblich ist. Er scheint mich nicht nur auf der Bühne zu beobachten, sondern auch abseits davon – als wolle er Schichten abtragen, die ich mir mühsam über die Jahre aufgebaut habe.
Er hat lange Haare, die ihm bei jedem Auftritt leicht ins Gesicht fallen, und ein Lächeln, das nicht nach bloßer Bewunderung aussieht. Es wirkt … wissend. Vielleicht sogar gefährlich. Ich weiß nicht, ob er meine Musik liebt – oder ob es etwas anderes ist, das ihn antreibt.
Vor kurzem habe ich herausgefunden, dass er kein gewöhnlicher Zuhörer ist. Morgan Bentley, Reporter für ein bekanntes Musikmagazin aus Los Angeles. Angeblich schreibt er über die Szene, die Konzerte, das Business – doch ich spüre, dass es ihm weniger um meine Songs geht, sondern um mich. Um mein Leben abseits der Bühne. Vielleicht will er eine Story, die meine Fassade sprengt. Vielleicht sucht er Schlagzeilen über Skandale, über mein Liebesleben – von dem keiner etwas weiß. Und doch: So sehr ich ihm misstraue, so sehr zieht er mich auch an. Er taucht auf wie ein Schatten, aber einer, der mich wärmt. Ich weiß nicht, ob er mich zerstören oder retten wird. Vielleicht beides.
Eines steht fest: Morgan ist mehr als nur ein Reporter. Er ist eine Frage, auf die ich keine Antwort habe. Und vielleicht – nur vielleicht – bin ich bereit, sie endlich zuzulassen.

vergeben Ich bin Gideon Thorne. Mein Leben begann in Nashville, zwischen kaputten Träumen und zersplitterten Familienstrukturen. Meine Eltern waren mehr mit ihren eigenen Kämpfen beschäftigt als mit mir. Ich wuchs auf in Räumen voller Streit, wo Türen öfter knallten, als dass jemand lachte. Die Gitarre, die ich mit zwölf in die Hand nahm, wurde mein einziges Zuhause. Mit der Musik fand ich eine Sprache, die keiner meiner Eltern sprach: Ehrlichkeit. Jeder Akkord war eine Flucht, jede Melodie ein Aufschrei, den niemand sonst hörte. Es war nie nur Hobby – es war Überleben.
Ich verließ Nashville früh, um meinen eigenen Weg zu gehen. Mit zwanzig spielte ich in Bars, mit dreißig füllte ich Hallen. Irgendwann gründete ich mein Label Ashen Records, um nicht nur meine eigene Stimme, sondern auch andere Künstler zu fördern, die ihren Weg suchen. Erfolg folgte – goldene Schallplatten, ausverkaufte Touren, ein Name, den man in der Branche kennt. Doch was nützt all das, wenn man nachts allein nach Hause kommt?
Denn da ist etwas, das mich bis heute begleitet: die Frage nach dem Kind, das ich einst verloren habe. Fast dreißig Jahre trage ich diesen Schatten mit mir, diese Ungewissheit. Ich weiß nicht, ob er lebt, ob er mich kennt, ob er mich hassen würde, wenn er es täte. Dieser Gedanke brennt tiefer als jedes Lampenlicht.Doch jetzt gibt es Licht am Ende des Tunnels, denn ich habe ihn gefunden. Nun muss ich Kontakt zu ihm aufnehmen. Ein Unterfangen welches nicht leicht wird. Manchmal fühle ich mich wie ein Mann aus zwei Hälften: Auf der Bühne bin ich unantastbar, die Ikone, der Rockstar. Doch wenn der letzte Akkord verklingt, bleibe ich zurück – nur Gideon, der einsame Mann, der nicht weiß, ob er überhaupt geliebt werden kann.
Ich sehen mich vielleicht deshalb so sehr nach Nähe, nach jemandem, der durch die Fassade blickt, ohne sofort zu urteilen. Jemandem, der sieht, dass hinter Ruhm und Reichtum ein Mensch steht, der immer noch nach etwas sucht, das größer ist als Applaus. Vielleicht, nur vielleicht, finde ich das noch.